Agrarpolitik - kritsch gesehen

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H.F.J. Wohlmeyer

Wider die Zukunftskriminellen!
Die gegenwärtige (aufgezwungene) Agrarpolitik im Lichte des Rückblickes aus der Zukunft


Vorbemerkung:

Sie werden in diesem Beitrag keinen Wust an rechtfertigenden Fußnoten finden, die man braucht, um sich im akademischen Hauptstrom zu rechtfertigen, sondern nur erklärende und weiterverweisende. Sie werden aber auch keine wortklingelnden Zukunftseinschätzungen finden, wie sie von Zukunftsgurus abseits des naturwissenschaftlichen Rahmens in die Welt gesetzt werden. Wohl aber werden Sie auf dem Hintergrund einer interdisziplinären Wissensbasis und einer prägenden geschichtlichen Erfahrung auf die schonungslose Benennung des Treibenlassens in nicht zukunftsfähige Situationen stoßen - und aus dieser Sorge heraus auf den begründeten Groll eines alten Mannes. In diesem Zusammenhange sei auch auf das soeben erschienene Buch <Land in Gefahr> (L. Stocker Verlag 2005) verwiesen.


Was auf uns zukommt – Wie wir es sehen – Wie wir reagieren

Tatsache ist, dass die Menschheit sich pro Tag um fast 250.000 Menschen vermehrt, dass zusätzliche fruchtbare Böden kaum mehr zur Verfügung stehen. Die Ausstattung mit Ackerland pro Kopf hat sich daher seit 1960 halbiert. Bei der gegenwärtigen Wachstumsrate der Weltbevölkerung erfolgt eine Verdoppelung binnen 50 Jahren. Demnächst werden wir unter 2000 m² Ackerland pro Kopf der Weltbevölkerung sinken, wodurch das Minimum, das für eine bescheidene Ver- und Entsorgung eines Menschen notwendig ist, unterschritten wird. Der Hunger droht daher nicht mehr ein verteilungspolitisches Problem zu werden, sondern ein global-strukturelles. Dass hungernde Massen nicht friedensfähig sind, kommt hinzu. Gewaltsame Konflikte führen aber zu weiterer Zerstörung notwendiger Ressourcen.

Eine Vorahnung bringende, dramatische Beispiele finden wir in Afrika. Die Vertröstung auf die Produktionssteigerung durch Bewässerung scheitert am Knappwerden der Frischwasserreserven und die Hoffnung auf unbegrenzte Intensivierungsmöglichkeiten durch Züchtung und Düngung an den inhärenten Begrenzungen, am Gesetz des abnehmenden Bodenertrages und an notwendigen ökologischen Rücksichtnahmen. Die Pro--Kopf-Produktion an Getreide, dem Hauptnahrungsmittel, ist daher in den letzen 20 Jahren zurückgefallen. Im Jahr des Reises 2005, welches von den Vereinten Nationen ausgerufen wurde, zeigt sich die gesamte Dramatik dieses Geschehen. Wenn nämlich jene Gebiete der Erde, in denen die Bevölkerung am raschesten wächst, nicht mehr ausreichend versorgt werden können, dann sind soziale Verwerfungen mit gewaltsamen Mustern zu erwarten.

Diese Analyse wird durch das Millennium Ecosystem Assessment der Vereinten Nationen erhärtet. 1300 Wissenschafter aus 95 Ländern der Erde haben aufgezeigt, wie knapp der Proviant auf dem <Raumschiff Erde> ist. Um so bemerkenswerter ist die Reaktion der Hauptstromökonomen: Sie verharren noch immer in der in der Vergangenheit berechtigten Malthuskritik und übertragen unter anderen Umständen sachentsprechend gewesene Urteile auf nicht-analoge Situationen. Malthus konnte die Landnahmen der Europäer und den produktionstechnischen Fortschritt nicht voraussehen, und als Anton Zischka 1938 sein „Brot für 2 Milliarden Menschen“ schrieb, waren ausreichend Reserven vorhanden. Dies galt auch noch für Fritz Baades, „Welternährungswirtschaft“ im Jahre 1956. So sind Paul A. Samuelson und Willam D. Nordhaus in der ‚ökonomischen Bibel des 20. und 21. Jahrhunderts’ im Kapitel „Natürliche Ressourcen und Umweltökonomie“ der Ansicht, dass verbrauchtes Naturkapital durch produziertes Kapital (Humankapital) ersetzt werden kann und sonnen sich in einer neutralen Schiedsrichterrolle zwischen den „Malthusianern“, die Grenzen sehen, und den „Füllhorntheoretikern“, die nach wie vor von unbegrenzten Möglichkeiten ausgehen.

Sie meinen, dass der Markt bei Verknappungen rechtzeitig die notwenigen Preissignale geben werde und so eine optimale Allokation der Produktionsfaktoren zu erwarten sei. Dies ist aber in der gegenwärtigen Situation eine irrige Annahme, da Märkte immer kurzsichtig (myop) reagieren und entscheidende Technologien bis zu ihrer Hochform und ihrer ausreichenden gesellschaftlichen Durchdringung erfahrungsgemäß ca. 30 Jahre Entwicklungszeit benötigen (Periode der Prototypen - Periode der Beseitigung der <Kinderkrankeiten> - Periode der gesicherten Technologie - Periode der Hochform und des systematischen Einsatzes). Dies gilt um so mehr für die Änderung von Gesamtsystemen. Im Interesse des Gemeinwohles muss daher vorauseilend gehandelt werden (Vorwegnahme künftiger Knappheiten).

Der anglo-amerikanische multidisziplinäre Ökonom Kenneth Boulding (1910 -1993) wandte sich gegen den vorherrschenden ökonomischen Reduktionismus und verwendete 1966 als erster Ökonom das Bild des „Raumschiffes Erde“. Aus der Erkenntnis, dass auf diesem Raumschiff die Plätze und der Proviant begrenzt sind, leitete er die Notwendigkeit von „life boat ethics“ (Rettungsboot-Ethik) und einer „space ship economy“ (Raumschiffökonomie) ab. Letzterer stellte er die traditionelle, vor allem von der US-neoliberalen volkswirtschaftlichen Schule getragenen „cowboy economy“ (Cowboyökonomie) gegenüber. Diese geht noch immer davon aus, dass man „weiterreiten“ könne, wenn eine Ressource verbraucht ist. Boulding führt das evidente Ausblenden von künftigen Knappheiten, Gefahren und Notwendigkeiten darauf zurück, dass sich jeder von uns sein geistiges Haus (image, Weltsicht, Weltbild) gezimmert hat. In diesem hat man sich bequem eingerichtet, interpretiert mit ihm die Welt und rechtfertigt mit ihm seine Handlungsweisen. Aus letzterem resultiert auch die aggressive Verteidigung der Hauptstrom-Meinungen, die die gängigen Handlungsmuster „begründen“ (rechtfertigen).

Alle, die diese vorherrschenden Denkmuster und die mit ihnen verbundenen Interessen in Frage stellen, werden daher als „weltfremd“, „phantasierend“ oder „unwissenschaftlich“ abqualifiziert. Dem Autor ist dies so ergangen, als er das erste Grüne Energieprogramm für Österreich erstellte und die ersten Initiativen in Richtung von Treibstoffen und Chemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen entfaltete. Nun vereinnahmen die ehemaligen Gegner diese Ideen, bauen sie aber entstellt in nichtnachhaltige Gesamtsysteme ein.

Gerade deshalb lade ich Sie ein, aus den geistigen Häusern auszubrechen, Ihre ‚geistigen Scheinwerfer’ aus verschiedenen Richtungen einzusetzen, und bereit zu sein, unbequeme Schlussfolgerungen zu ziehen.

Als Ermutigung hierzu soll jene bereits legendär gewordene Diskussion dienen, die sich beim letzten Vortrag des Philosophen des Kleinen, Leopold Kohr (1909 – 1994) an der Technischen Universität Wien ereignete. Als er schon gebrechliche Prof. Kohr von der <Gruppe angepasste Technologie> zu einem Vortrag gebeten worden war, wurde der Autor von den kritischen Studenten gebeten, Kohr benevolent zu flankieren, um einem „Abgleiten ins Märchenhafte“ entgegen zu wirken. Mitten unter seinem Vortrag meldete sich eine Gruppe von Hörern, die ihm vorwarf, gerade das Gegenteil von dem vorzutragen, was sie in den Fachvorlesungen zu hören bekämen.

Kohr reagierte wie folgt:
Er richtete seine halb blinden Augen auf die Gruppe und fragte sie, ob sie die Geschichte von Noah und der Arche kenne. Nach einer Weile einigte man sich darauf, diese „Geschichte“ als Arbeitshypothese gelten zu lassen.

Kohr war damit zufrieden und gab zu bedenken: „Junge Freunde! Wenn die Geschichte über Noah und die Arche stimmt, dann reden wir von einem Menschen, der auf seine innere Stimme hörte, statt sich nach dem Hauptstrom zu richten. Er tat völlig „unökonomische“ Dinge und beutete für seine Hirngespinste seine Großfamilie aus... und er wurde verlacht. Aber wenn diese Geschichte stimmt, dann stammen wir alle von diesem ‚Spinner’ ab!“

Betroffenes Schweigen folgte, und Kohr fuhr mit seinem Plädoyer für überschaubare, der Natur und der phylogenetischen (stammesgeschichtlichen) Ausstattung des Menschen angepasste, nachhaltige Gesellschaften ermöglichende Strukturen fort.

Dieses Ereignis führte den Autor zur Strategie der <Inseln (Archen) der Nachhaltigkeit> - eine Metapher, die nun zum Gemeingut in der Nachhaltigkeitsliteratur gehört.

Die Herangehensweise

Denken in Szenarien
Die moderne Systemtheorie unterscheidet statische Systeme mit linearen Kausalzusammenhängen, komplexe Systeme, homöostatische Systeme mit einer Vielfalt von Wechselbeziehungen, in denen Wirkungen binnen kurzer Zeit zu Ursachen werden, und selbstorganisierende, lebende Systeme. Die beiden letzteren sind mathematisch nur mehr so annäherbar, indem man sie in Teilsysteme zerlegt, diese als <black box> annimmt, und die Beziehungen dieser Teilsysteme zueinander im Gesamtsystem (Festlegung der Interfaces und Regeln des Gesamtsystems) zu erfassen und zu modellieren versucht. Nimmt man diese Begrenzung (Überforderung) demütig zur Kenntnis und nimmt nicht Zuflucht zur wirklichkeitsfremden, reduktionistischen ceteris-paribus-Methode, bei der man nur eine Variable sich ändern lässt und die anderen fix hält, dann verbleibt nur die Szenariotechnik als bestmöglich Annäherung an die wahrscheinliche Entwicklung.

Rückblick aus der Zukunft

Mein Freund, der Niederländer Leo A. Jansen, einer der Mitbegründer des Faktor 10 Clubs , hat die Technik des „Backcasting“, des Rückblickes aus der Zukunft, in die Politikplanung eingeführt. Diese Technik versucht Szenarien für erwartbare Zukünfte zu identifizieren, die sich aus den gegenwärtigen Verhaltensmustern ableiten lassen. Auf Basis dieser Projektionen werden dann notwendige Korrekturen für das gegenwärtige Verhalten abgeleitet. In anderen Worten: Unliebsame Ergebnisse in der Zukunft führen zur Korrekturaufforderungen in der Gegenwart.

Der Befund - Was wir feststellen können

a) Voraussehbare Knappheiten: Nimmt man die Statistiken und Projektionen der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zur Kenntnis und erhärtet sie noch durch die Analysen des International Food Policy Research Institute, des Earth Policy Institute und des Worldwatch Institute, dann geht, wie schon eingangs erwähnt, die sich in geometrischer Reihe vermehrende Menschheit einer absoluten, nicht mehr verteilungsbedingten Nahrungsknappheit entgegen. Hierzu kommt noch das zunehmende Risiko von Missernten wegen der Klimaturbulenzen und die Gefahr gestörter Zufuhren. Letzteres Risiko wird systematisch ausgeblendet (Wegschauen), obwohl die Zeichen der Zeit auf Sturm stehen. Das Risiko eines sich zum Weltkrieg aufschaukelnden Konfliktes ist nämlich größer als zur Zeit des ‚kalten Krieges’, in dem die Akteure berechenbar waren und noch ein „rotes Telefon“ existierte. Man spricht von „Asymmetrischer Kriegsführung“, bei der die Gegner den traditionellen Verhaltensmustern nicht mehr entsprechen (Beispiel: An strategischen Zielen eingesetzte Selbstmordattentäter). Zu jeder ‚modernen’ Aggression gehören vor allem neben den rein militärischen Aktionen den Gegner ausschaltende Erstschläge mit dem Ziel der gleichzeitigen Störung oder Zerstörung der Informations-, Energieversorgungs- und Verkehrssysteme.

Dies aber bedeutet den völligen Zusammenbruch der immer komplizierter, weitläufiger und verletzlicher werdenden Versorgungssysteme - insbesondere bei Nahrungsmitteln.

Im und nach dem zweiten Weltkrieg gab es noch mehr oder weniger autark produzierende Bauern, bei denen man darbende Flüchtlinge und Städter einquartieren konnte, um sie vor dem Verhungern zu bewahren. Jetzt aber sind die Bauern selbst versorgungsgefährdet. Im Angesicht dieser Gesamtsituation die heimische Versorgung risikoreich zu organisieren und die Bauern scharenweise zu opfern, ist demnach wirklich „zukunftskriminell“.

Was sich derzeit in der WTO und EU abspielt ist schlicht ein Bauernopfer (Abtausch) für verständliche - aber dies nicht rechtfertigende - kurzfristige Industrie- und Handelsinteressen. Wie weit dieses Denken geht, mögen zwei Zitate aufzeigen: Der oberste Budgetbeamte Österreichs schrieb vor einigen Jahren in ‚Arbeit und Wirtschaft’, dass die Land- und Forstwirtschaft offenbar ein typischer Schrumpfungsbereich sei und dass man daher von diesem das Geld abziehen müsse, um es in Hoffnungssektoren zu investieren. Noch weiter ging der ehemalige Vizedirektor für Landwirtschaft der OECD (ein Österreicher!). In einer „offen-ehrlichen Diskussion“ im Raiffeisenhaus zu Wien mit Agrarvertretern im Jahre 1998 erklärte er diesen „nüchtern“, dass das gegenwärtige Weltmarktsystem das bestmögliche sei. Wenn dieses erfordere, dass sich 250.000 österreichische Bauern (so viele waren es damals noch insgesamt) einen anderen Job suchen müssen, dann sei dies aus der Sicht des zunehmenden Weltwohlstandes ein zumutbares Opfer. Außerdem seien 250.000 Familien im Weltmaßstab eine vernachlässigbare Größe (quantité negligeable). Die Vertreter kurzfristiger Exportinteressen im Rahmen einer nicht nachhaltig organisierten Weltwirtschaft sind somit bereit, eine ganze Landeskultur und die Ernährungssicherheit der kommenden Generationen zu opfern.

Aber der Aufstand der betroffenen Gesamtgesellschaften und die Vorschläge für eine institutionelle Neuordnung fehlen. Vielmehr hutschen sich die Wirtschaftsjournalisten und Hauptstromökonomen auf den „Bauernsubventionen“ (siehe nachfolgenden Abschnitt). Im gegenständlichen Fall brachten die im ersten Anlauf unmittelbar betroffenen Bauern(vertreter) nur ein geschocktes Stottern und Bitten um milderndes Überdenken hervor. Ich war in dieser Diskussion der einzige, der dem Vortragenden „Zukunftsblindheit oder Zukunftskriminalität“ vorwarf und zur massiven Selbstverteidigung aufrief. Auch der gegenwärtige „Handelsminister“ (BMWA) meinte in einem Gespräch, dass die Landwirtschaft den anderen Wirtschaftsinteressen nicht entgegen stehen solle.

Der über die Kurzzeitinteressen hinausgehende Befund ist klar: Im Interesse einer friedlichen Zukunft müssen wir jeden Quadratmeter fruchtbaren Bodens bewahren und damit auch jene Menschen, die die Technik zu deren nachhaltiger Bewirtschaftung beherrschen. Wie dies erfolgen kann, soll im Abschnitt <Erforderliche Maßnahmen> aufgezeigt werden.

b) Strukturelle (systematische) Unter(Falsch)bewertung der Landbewirtschaftung

Ich habe schon vor 25 Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass es fachlich unrichtig ist, die Abgeltungen für Grüne Dienste (Green Services) als Subventionen zu qualifizieren und daher in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) mit null anzusetzen. Wenn ein Panzer bei einer Übung der Armee ein Feld devastiert, dann gehen sowohl der Lohn der Soldaten und die Kosten des Panzers sowie der dirigierenden Stäbe als auch die späteren Reparaturkosten ins Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein und erhöhen dieses. Wenn aber die Bauern die Kulturlandschaft - also das wohl wertvollste, das Österreich zu bieten hat - pflegen und gestalten, Maßnahmen zum Schutze vor Naturgefahren durchführen und die ländliche Infrastruktur miterhalten, dann ist dies nichts wert. Im Rahmen der PSE-Berechnungen der OECD erhalten die Leistungsabgeltungen an die Bauern sogar eine negative Konnotation als den freien Markt behindernde, unerwünschte Zahlungen. Der vorstehend erwähnte Trugschluss des obersten Budgetbeamten und aller von ihrem beschränkten Weltbild ausgehenden Hauptstromökonomen zeigt, wie gefährlich dieser Misstand ist.

Als ich vor 5 Jahren den Chefökonomen von Englisch Nature und die Vertreter der Royal Commission darauf hinwies, dass die Green Services in der VGR (System of National Accounting) unter den Tisch fallen meinte ersterer entsetzt: „Darauf hat uns bisher niemand aufmerksam gemacht. Da geben wir ja die falschen ökonomischen Signale!“ - Als ich voll Freude nach Hause kam und im „Lebensminsterium“ berichtete, dass wir sogar in England starke Bundesgenossen gefunden haben, dass man bei den Europäischen Umwelträten (EEAC) ein Agrarkomitee einsetzen und mich zum Obmann wählen wolle, reagierte man bis hinauf zum Generalsekretär und Minister wie folgt: „Der alte Wohlmeyer (Ich war 65 Jahre alt und seit neuestem soll man doch bis zu einem Alter von 70 Jahren arbeiten.) kann es nicht lassen und will in Europa spazieren fahren.“ Nun wunderte man sich über die Haltung der britischen Regierung in den EU Budgetverhandlungen ...

Bei den Berechnungen der OECD entdeckte ich sogar, dass das landwirtschaftliche Schulwesen unter den agrarischen Produzentensubventionen verbucht wurde. Wer würde Gewerbeschulen dem Gewerbe und der Industrie als „wettbewerbsverzerrende Subvention“ zurechnen!?

Hier müssten alle ‚elderly statesmen’ (die ausgesorgt habenden Politiker) in der Welt rotieren, um dieser strukturellen Falschbewertung ein Ende zu bereiten.

Das eigenartigste Argument gegen diese fachlich als richtig anerkannte Änderung in der VGR kam aus dem Bundesministerium für Finanzen: <Dann würde sich ja das BIP erhöhen und damit unser Beitrag zur EU!> Das Gegenargument ist einfach: Wir bewerten sogar in der EU die Grau- und Schwarzarbeit, um zu sachentsprechenden Beiträgen zu kommen . Man könnte ja diese geringer schätzen und dafür die wünschenswerte ‚weiße’ Arbeit der Bauern im Interesse des Gemeinwohles nicht ausklammern.

Auch hier ist der Befund klar: Wenn man so weiter macht, und kein ceterum censeo einbringt, wird der Landwirtschaft systematisch der Boden entzogen.

c) Keine Erforschung der Umwegrentabilitäten einer Wohlbefinden spendenden Kulturlandschaft als künftig knappes Gut

Man redet und schreibt zwar immer über den wertvollen Beitrag der Bauern zur Gestaltung und Erhaltung der Kulturlandschaft und über die Multifunktionalität. Wenn es aber darum geht, diese Behauptungen wissenschaftlich zu untermauern, dann werden andere Prioritäten gesetzt. Dies hat der Autor mehrmals erlebt, als er zusammen mit Humanbiologen, Umweltmedizinern und Ökonomen die phylogenetisch (stammesgeschichtlich) verankerten Ansprüche des Menschen an eine Wohlbefinden spendende Kulturlandschaft erheben und ihre hohe Umwegrentabilität unter Beweis stellen wollte. Schließlich schrieb er unter Verweigerung von Schreibhilfe und grafischem Dienst einen diesbezüglichen ‚Abschiedsartikel’ im Sammelband „Landscape Tomorrow“ und überließ das Feld der vorherrschenden Scheuklappenpolitik. Im Gegensatz zu Österreich versucht Kollege Prof. Alois Heißenhuber an der TU München–Weihenstephan, sich dem Thema mit Landschaftssimulationen und deren Akzeptanz konkret zu nähern. Befund: Wenn man weiß, dass Wohlbefinden spendende Landschaften in Zukunft ein knappes Gut werden und man von der Gesellschaft erwartet, dass Grüne Dienste honoriert werden, dann müssen diese schlagend begründet werden. D.h. ihr Beitrag zum physischen und psychischen Wohlbefinden (dies ist die Gesundheitsdefinition der WHO) und ihre hohe Umwegrentabilität (nicht nur im Fremdenverkehr) sind unter Beweis zu stellen.

d) Mangelnde Vision einer kreislauforientierten Bedarfsdeckung in den Bereichen Energie, Strukturmaterialien und Naturstoffchemie

Bislang wurde immer ‚monomane’ Lösungen forciert. Einmal war es der Biodiesel, jetzt ist es der Biosprit. Die große Vision der Einkoppelung in die großen Kreisläufe und lokalen Ökosysteme blieb praktisch unbearbeitet. Ein Beispiel hierzu: Als wir vor mehr als 20 Jahren den Biosprit und Chemiealkohol thematisierten und schlüssige Planungen bis zum Detail-Engineering und konkurrenzfähiger Vermarktung vorlegten, war dies nicht nur „alles zu kompliziert“, sondern widersprach schlicht auch der Erwartung der im Agrarbereich herrschende Akteure, steigende Getreidemengen mit gesicherter Spanne exportieren zu können. Die Zurverfügungstellung von Getreide zu Exportkonditionen für den technischen Sektor wurde nachhaltig verweigert. Auch das Argument einer Qualitätskaskade, mit der man eine Qualitätsführerschaft (USP) in Europa erreichen könne, zog nicht. Wir hatten vorgeschlagen, bei Getreide nur die beste Ware in den Lebensmittelsektor zu bringen, die zweitbeste Ware im Stärke- und Futterbereich zu verwenden und die abfallenden Qualitäten zu verspriten. Über diese Strategie sollte international informiert werden. Dasselbe galt für die Idee von Mehrrohstoff- und Mehrzweckanlagen, die eine ausgewogene Fruchtfolge, mehr Rohstoffsicherheit und eine höhere Wertschöpfung hätten bringen sollen. Vor allem wurde die Idee eines Vorderbetriebes der zu errichtenden Anlagen mit Umstellungsmöglichkeit auf nicht essbare Pflanzenteile abgelehnt. Diese technische Lösung hatte den Zweck, auf kurz- und langfristige Knappheiten im Ernährungsbereich reagieren zu können. Ein Technikum für Zellulosehydrolyse in Linz wurde daraufhin abgewrackt und selektierte Pilze mit guten Hydrolyseeigenschaften weggeworfen (Sie kamen nicht einmal in eine Genbank!).

Erst jetzt beginnt man an der Universität für Bodenkultur in Wien, die nachwachsenden Rohstoffe und die Naturstoffchemie zu betonen. Befund: Das Feld der nachwachsenden Rohstoffe und Primärenergieträger wird derzeit grosso modo nur in Nischen, die sich bereits rechnen, bearbeitet. e) Die vermiedene Leitbild-Diskussion Die europäische und österreichische Agrarpolitik gleicht einem Getriebensein durch den weltpolitischen Hauptstrom. Eine Anpassung jagt die andere und jede Änderung wird als Erfolg verkauft mit dem Argument, dass es ohne die tapfere Gegenwehr noch ärger hätte kommen können. Langfristiges Denken und Planen, wie es der nachhaltige Umgang mit Agrarökosystemen und die angemessene Bewältigung der Zukunft der Menschheit erfordern, werden als nicht realitätsbezogenes ‚Philosophieren’ abgetan (siehe Eingang).

Die langfristig überlebensnotwendige Frage, welches standortangepasste Produktionssystem nachhaltig die höchste Nettoernte an Sonnenenergie in für den Menschen nutzbarer Form sowie gesellschaftliche Stabilität erbringen kann, wird gar nicht mehr gestellt. Die Folge ist nicht nur eine völlige Verunsicherung der Bauern, sondern ein agrarpolitisches Dahinwursteln mit der Konsequenz, dass Bauern ohne Perspektive scharenweise ihre Höfe aufgeben (in den letzten 4 Jahren 18,5 pro Tag!).

Die am Hauptstrom orientierten Investitions- und Managementprogramme (Stichworte: BFU - Bäuerliches Familienunternehmen und neues Programm für die Ländliche Entwicklung) werden wohl nur Einigen das Überleben in Nischen ermöglichen. Dies auch deshalb, weil das bislang bewährte Nebenerwerbsmodell unter Druck gekommen ist. Der Arbeitsdruck im Hauptberuf ist so groß geworden, dass der bäuerliche Nebenerwerb als unerträgliche Last empfunden wird.

Befund:
Wir werden uns einer grundsätzlichen Leitbild-Diskussion stellen müssen, die die langfristigen Bedürfnisse und die sich daraus ergebenden Bewirtschaftungserfordernisse nicht ausklammert. Dieses Zielwissen ist die Voraussetzung aller Umsetzungsstrategien (Kurskorrekturen).


Gebotene Korrekturen

Was erfordert der Rückblick aus der Zukunft

Im Nachstehenden können nur schlagwortartig einige Aktionslinien aufgezeigt werden, weil eine umfassende Darlegung den vorgegebenen Rahmen sprengen würde.

a) Den Aufstand gegen den Hauptstrom wagen

und ein zukunftsfähiges Leitbild einfordern

Wenn man die zu erwartenden Knappheiten und die erhöhten Risiken nicht ausblendet, dann muss dem gegenwärtigen Hauptstrom ein international organisierter Widerstand entgegen gesetzt werden. Dieser muss aber von einem sozial, ökologisch und ökonomisch ausgewogenen Gesamtkonzept getragen werden.

In einem solchen „Aufstand“ wären z. B. die Bürger der USA zu überzeugen, dass es für sie besser ist, wenn in nachwachsende Rohstoffe und Primärenergieträger (NAWAROS) investiert wird, statt dass sie in den kostspieligen Ölkriegen einer ausbeutenden Minorität buchstäblich verheizt werden. Gerade jetzt - in der Zeit der bitteren Erfahrung auf den Ölschlachtfeldern - könnte auf den Bericht <Global 2000> an Präsident Carter zurückgegriffen werden, in dem die heimischen, nicht fossilen Potentiale mit dem 250-fachen (!) der verschwenderischen Energieverbauchsleistung in den USA identifiziert wurden.

Das Rezept <Bomben und Bohren> funktioniert bei einer asymmetrischen militärischen Auseinandersetzung nicht mehr. Vielmehr könnten die USA bei einer Umpolung ihrer Politik zum gesuchten und geschätzten Partner und fairen Lizenzgeber der Welt werden, sowie ihre politische Glaubwürdigkeit wieder erlangen. Wenn aber die USA auf NAWAROS im Energie-, Chemie- und Strukturmaterialienbereich setzten, dann bräuchten Sie nicht den Kopf der Bauern in anderen Ländern - insbesondere im (noch) kaufkräftigen Europa - fordern, um ihre fossil hochgepeitschten Agrarüberschüsse absetzen zu können. Dasselbe gilt mutatis mutandis für jene Agrarexporteure, die in der Cairns-Gruppe vertreten sind.

Im Gesamtkonzept (Leitbild) einer ökologisch angepassten und sozial behutsamen Wirtschaft nach dem Maß von Natur und Mensch könnten die modernen Techniken der Informatik und Telekommunikation sowie der Mikroelektronik und Biotechnologie erstmals in der Menschheitsgeschichte einen dezentralen Lebensstil mit hoher Kommunikationsdichte , hoher Produktivität und Produktionssicherheit, einsichtigen Rollen für die Mitbürger, lebendigem Naturkontakt und möglichst breiter Mitbestimmung ermöglichen. Sie werden aber derzeit zur Verwirklichung des Gegenteils verwendet, nämlich für unangepasste, unflexible und im Krisenfall höchst verletzliche Megasysteme.

Dass dies nicht nur für den Agrarbereich gilt, haben Piore und Sabel in ihrem Klassiker „Das Ende der Massenproduktion“ schon 1984 dargelegt. Sie argumentieren, dass wir seit rund 200 Jahren dem falschen technischen und ökonomischen Grundkonzept nacheifern. Jede Massenproduktion produziert auf Verdacht mehr als gebraucht wird, denn es ist ein Grunderfordernis des Marktes, dass man jederzeit lieferfähig sein muss, sonst ist man <weg vom Fenster>. Ergo gibt es der Natur der Sache nach (strukturell) zu vernichtende Überschüsse. Durch die Konzentration der Produktion entstehen zusätzlich Müllmengen die nicht im Kreislauf geführt werden können. Wenn aber künftig die Rohstoffe knapp und die ökologischen Grenzen deutlicher spürbar werden, dann ist dies kein zukunftsfähiges Handlungsmuster. Vielmehr sollten wir unser technisches Können für flexible Automation und für technisch hochstehende dezentrale Kleinanlagen verwenden, wozu die Mikroelektronik eine Schlüsseltechnik darstellt. Dadurch ist Produktion auf Bestellung und nicht auf Verdacht möglich. Auswahl und Design können virtuell getroffen werden. Dies ermöglicht auch die Befriedigung individueller Bedürfnisse mündiger Bürger und erspart diesen die niederwalzende Werbung für die Massenprodukte. Letztere verbraucht zusätzlich Ressourcen und ist zu einem erheblichen Müllproblem geworden.

Die Parallele zum Agrarbereich ist frappierend. Auch hier werden zukunftsfähige Versorgungssysteme bei Nahrungsmitteln und organischen Rohstoffen flexible Nahversorgung mit Kreislaufführung der Reststoffe erfordern.

b) Die Frage nach der optimalen Nettoernte an Sonnenenergie stellen

Wenn wir die Erde nachhaltig bewirtschaften und die Menschen bestmöglich versorgen wollen, dann müssen wir im gesamten energetischen und organischen Bereich die zentrale Forschungs- und Politikfrage stellen: „Auf welche Art können wir eine optimale, nachhaltige Ernte an Sonnenenergie in für den Menschen nutzbarer Form erzielen“ und welche Rahmenbedingungen sind notwendig, um eine solche Entwicklung abzurufen. Wenn man aber diese Frage ernsthaft stellt, dann kommen die derzeitigen Bewirtschaftungsmuster in Zweifel. Alle Kulturen, die mit knappen Flächen und ohne massive fossile Inputs nachhaltige landwirtschaftliche Bedarfsdeckungen sicher zu stellen hatten, haben nämlich kleinräumig standortangepasste und vielfältige gärtnerische Produktionsmuster entwickelt, die mit Permakulturelementen verschwistert waren. Dadurch erreichten sie eine maximale Produktivität je Flächeneinheit. Dass dies auch mit einer mittleren Arbeitsproduktivität möglich ist, zeigt die nachstehende Grafik. Japan hat für seine Kleinstrukturen (insbesondere die Reisterrassen) angepasste Technologien entwickelt und so die Arbeitsproduktivität gehoben. Die kleinen japanischen Allradtraktoren (Marken Iseki, Kubota etc.) die in unseren Stadtgärten fahren, sind angepasste Maschinen für die japanischen Terrassenkulturen, die alle Funktionen von modernen Großtraktoren erfüllen.

Einfügen der übersendeten Grafik <Flächen- und Arbeitsproduktivitäten ...>

Es soll hier vermerkt werden, dass auch die US-Bischöfe in ihrem Hirtenbrief <Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle> schon Ende der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts die Entwicklung angepasster Technologien für die Klein- und Mittelbetriebe gefordert haben. Die derzeitige Forschung und Entwicklung sei nur auf die Großbetriebe zugeschnitten. Wie unterschiedlich Agrarkonzepte sein können, zeigt das Beispiel Südkorea: Bevor dieses Land von den USA gezwungen wurde, seine Agrarmärkte zu öffnen, wurde eine kleinstrukturierte Landwirtschaft mit einer Betriebsgröße von ca. 3 ha angestrebt. Der gesellschaftlich wünschenswerte Sinn war folgender: Bei einem eher gärtnerischen Kulturmuster und moderner Technik können ca. 3 ha Kulturland von einer Arbeitskraft bewirtschaftet werden. Die breite Streuung des Eigentums an Grund und Boden fördert die soziale Stabilität. Im Falle von Arbeitslosigkeit (bei einem noch nicht nach europäischen Standards ausgebildeten und finanzierbaren Sozialsystem) sind die Kleinbetriebe ein Sicherheitsnetz, in dessen Rahmen Arbeitslose durchgefüttert und sinnvoll beschäftigt werden können. Weiters kann im Krisenfall die Flächenproduktivität durch Umstellung auf reinen Gartenbau mittels höherem Arbeitseinsatz massiv angehoben werden. Mit dieser Erklärung können sie auch die 850 verhafteten südkoreanischen Demonstranten bei den jüngsten (Dez. 2005) WTO-Verhandlungen in Hongkong verstehen. Es geht um die destabilisierende Zerstörung eines gesellschaftlichen Gesamtmusters.

c) Die notwendigen und wünschenswerten Grünen Dienste einsichtig machen

Bei den in den Industriestaaten gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen und Präferenzen (Meinung langfristig im Nahrungsüberfluss zu leben, aber gleichzeitig um die Lebensgrundlagen und Kulturlandschaften zu bangen) ist es notwendig, die Palette der anderen grünen Dienste besser zu charakterisieren, zu begründen, zu quantifizieren und die Kosten zu kalkulieren. Dies wurde bislang nicht ausreichend getan. Vielleicht ist es aus Angst vor der Unfinanzierbarkeit und der daraus resultierenden Unzufriedenheit der bäuerlichen Klientel nicht erfolgt.

Es gibt aber auch die Erklärung der <agrarischen Indolenz>: der Autor hat nämlich selbst erfahren müssen, wie ein diesbezügliches bereits im Laufen befindliches Forschungsprojekt mit europäischem Modellcharakter seitens der Vertreter des agrarischen Hauptstromes abgewürgt wurde. Dies leitet bereits über zur nächsten Aktionslinie.

d) Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung korrigieren

Wenn die grünen Dienste ausreichend konkretisiert und der Gesellschaft einsichtig gemacht worden sind, dann muss ihre Abgeltung auch in das Bruttoinlandsprodukt eingehen (wertvoller Beitrag). Die Verbuchung als unerwünschte Subvention, wie sie unter US-lead von der OECD gepflogen wird und im internationalen System der VGR derzeit institutionalisiert ist, ist nicht nur nicht sachentsprechend, sondern geradezu ein Hohn.

e) Die Budgets auch eingangseitig sanieren

Die Honorierung der grünen Dienste kann jedoch nur erfolgen, wenn die notleidenden Budgets auch eingangseitig saniert werden. Kapitalumsatzsteuer (Tobin Tax), Informationsumsatzsteuer (BIT Tax), Verbrauchssteuern auf endliche Ressourcen und Umweltmedien sowie international konzertierte und abgesicherte „Maschinen“- und Spekulationssteuern sind daher im weiteren Sinne ebenfalls „Agrarthemen“. Derzeit verhungern wir vor vollen Tischen, weil die Anzapfung der wirtschafts- und ökosystemkonform erschließbaren Steuerquellen tabu ist.

Wenn man die Steuerdiskussionen des letzten Jahre Revue passieren lässt, dann wird in allen Lagern nur an traditionellen Schräublein gedreht, aber keine zukunftsfähige strategische Steuerreform und deren internationale Absicherung eingefordert.

f) Gesamtkonzept für Ernährung und Nachwachsende Rohstoffe

Bei den NAWAROS muss von der Verabsolutierung von Einzellösungen weggekommen werden. Die Einordnung in ein Gesamtkonzept der angepassten Naturnutzung und die Vision des Ersatzes der Petrochemie durch eine kreislauforientierte Naturstofftechnologie sind das zentrale, bisher vernachlässigte Desiderat. Mehrrohstoff- und Mehrzweckstrategien sowie die einander ergänzende Nutzung von essbaren und nicht essbaren Pflanzenteilen (abfalllose Verwertung) werden eine zentrale Rolle spielen müssen. Nicht das Pflichtenheft der traditionellen Verfahrenstechnik darf die land- und forstwirtschaftliche Produktion bestimmen, sondern jenes einer angepassten, nachhaltigen und eine hohe Flächenproduktivität aufweisende Naturbewirtschaftung muss die Vorgabe sein.

g) Kurskorrektur in der Handels- und Finanzpolitik

Die derzeitigen Regeln der Welthandels- und Weltfinanzpolitik entsprechen nicht den Erfordernissen einer zukunftsfähigen Entwicklung. Sie orientieren sich nach wie vor an Natur und Menschen plündernden Wirtschaftsmustern sowie an den Interessen der großen Kapitaleigner und sichern deren Spielräume. Statt mit dem Rücken zur Wand zu verhandeln , muss beharrlich eine zukunftsfähige Gesamtreform eingefordert werden, in der die Themen der Systemkonkurrenz und der begründeten unterschiedlichen Behandlung von Produkten und Dienstleistungen nicht ausgespart werden.

Es ist geradezu ein Witz, wenn die PPMs, die Herstellungsmethoden und -bedingungen von Produkten und Dienstleistungen nicht hinterfragt werden dürfen, wenn klare Produktdeklarationen (Herkunft, Herstellungsweise) als „Handelhindernis“ angesehen werden und wenn unterschiedlichen, kostenwirksamen Steuern- und Auflagen im grenzüberschreitenden Verkehr nicht Rechnung getragen werden darf. Offenbar müssen die sozialen und ökologischen Nöte und die Asymmetrien unerträglich werden, damit es zur Notwehr kommt. Dies war in der Geschichte der innerstaatlichen Sozialsysteme ebenso.

Das Drama ist nur, dass die über mehr als hundert Jahre oft blutig erkämpften Ausgleiche nun über die anonyme und undemokratische Globalisierung ausgehebelt werden. Dies bedeutet aber, dass die Sozialkonflikte ebenfalls eine globale Dimension annehmen.

Die Zukunftsblindheit der Hauptakteure ist diesbezüglich ‚bewundernwert’. Als ich vor einigen Jahren in Dresden einen Vortrag hielt, sagte mir der Vizepräsident des Bundes Junger Deutscher Unternehmer: Ich verstehe sie voll. Wenn wir die Entwicklung so weiter treiben lassen, dann gefährden wir jene Gesellschaftsordnung, im Vertrauen auf die wir derzeit wirtschaften. Wir müssen Spielregeln einfordern, innerhalb derer man mit gutem Gewissen Gewinne machen kann. Der Verweis auf die Corporate Responsibility etc. kann doch die auf uns wirkenden Sachzwänge nicht wegzaubern.“ Wir sollten uns an der Weitsichtigkeit dieses jungen Mannes ein Beispiel nehmen.

Der Rückblick aus der Zukunft erfordert die Bereitschaft, lieb gewordene Scheuklappen und Verdrängungen abzulegen. Das sich ergebende Korrekturhandeln erfordert mehr als nur angepasstes Taktieren. Es erfordert beharrliches Kämpfen um eine gedeihliche Zukunft für uns und vor allem für die kommenden Generationen. Diesem Ringen muss entsprechendes Ziel- und Umsetzungswissen zugrunde liegen, woran es sehr oft mangelt.

Der verstorbene Papst Johannes Paul II hat den Terminus der„sündhaften Unterlassung“ und der „sündhaften Strukturen“ geprägt. Solange wir letztere nicht in Frage stellen, wird der gesellschaftliche Wettlauf nach unten (race to the bottom) weiter gehen und die angepasste Naturbewirtschaftung wird das erste Opfer sein. Damit aber droht eine kurzsichtig-utilitaristische Gesellschaft den kommenden Generationen die wichtigste Lebensgrundlage zu zerstören. Dies aber ist schlicht zukunftskriminell.

Autor: Prof H. Wohlmeyer